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LIBREAS #29 –
„BIBLIOGRAPHIEN“. CALL FOR PAPERS
Ben Kaden / Dienstag, 10. November 2015 / Leave a comment /
Call for Papers
Ausgangssituation
Es scheint, als würdigte man die Praxis des
Bibliographierens heute lange nicht mehr so wie noch vor einigen Jahrzehnten.
Lange galten Bibliographien als eine wesentliche Informationsinfrastruktur der
einzelnen Wissenschaftsfelder. Entsprechend groß war der Aufwand und
Personaleinsatz für ihre Erstellung. An der Erstellung von Bibliografien waren
sehr viele Akteure beteiligt – Akademien etwa für Fachbibliographien,
Bibliotheken für National- und Regionalbibliographien oder auch kommerzielle
Anbieter wie Verlage oder Antiquariate. Heute scheinen Bibliografien, wo sie
überhaupt noch von Institutionen gepflegt werden, eine nachgeordnete
Nebenaufgabe zu sein. Aus dem Fachdiskurs wurden sie längst durch andere Themen
verdrängt. Die DNB verzeichnet unter dem Schlagwort „Bibliografie“ die drei
jüngsten Publikationen für das Jahr 2013. Das bestätigt den Trend, den Dirk Wissen
2008 in seiner breit angelegten Studie zur „Zukunft der Bibliografie –
Bibliografie der Zukunft“ ermittelte. (Berlin: Logos, 2008) Das Verzeichnen des
Schrifttums verliert angesichts der Durchsetzung digitaler Medialität an
Bedeutung. Die Zukunft muss mit direkter Volltexteinbindung, interaktiv
multimedial, Domänen übergreifend und dynamisch gedacht werden, weshalb man von
Medio- und Wikigrafien sprechen wird. So jedenfalls die These von vor acht
Jahren.
Definition
Das Bibliographieren lässt sich bekanntlich traditionell
definieren als systematischer, bestandsunabhängiger Nachweis
(wissenschaftlicher) Literatur zu bestimmten mehr oder weniger eng umrissenen
Themen, Regionen, Publikationsformen, Personen und vielem mehr. Ein dezidierter
Mehrwehrt gegenüber klassischen Bibliothekskatalogen war und ist die
Verzeichnung bibliographisch unselbständiger Publikationen wie
Zeitschriftenartikeln und Sammelbandbeiträgen – häufig auch mit dem Anspruch
auf Vollständigkeit. Ebenso zeichnen sich Bibliographien in vielen Fällen durch
eine differenzierte Sacherschließung berücksichtigter Literatur aus. Neben den
bereits erwähnten typischen Formen Nationalbibliographien,
Regionalbibliographien (Landes-/Kantonsbibliographien) und Fachbibliographien,
sind auch Spezialbibliographien und Personalbibliographien nicht selten. Ebenso
wurden beispielsweise Bibliographien zu Bibliographien mehr als einmal
herausgegeben. Details kann man unter anderem sehr schön in dem 1999 zum
sechsten Mal und zugleich letztmalig aufgelegten Handbuch der Bibliographie von
Friedrich Nestler (Stuttgart: Hiersemann) nachlesen.
Mehrwerte und Widersprüche
Heute mutet der Status von Bibliographien jedoch relativ
ungeklärt an, insbesondere der von wissenschaftlichen Fachbibliographien.
Grundsätzlich scheinen viele Fachdisziplinen ihre Bibliographien weiterhin zu
schätzen, gleichzeitig wird es durch die zunehmende Projektorientierung der
Wissenschaften immer schwieriger, die Arbeit an diesen nachhaltig zu
finanzieren. Die gegenwärtige Transformation der Sondersammelgebiete auf
Fachinformationsdienste, für die sich Bibliotheken regelmäßig mit neuen
Konzepten bewerben müssen, ist nur ein sichtbares Beispiel dafür. Durch diese
wird die projekthafte Organisation der Wissenschaft auf die Erwerbungspolitik
übertragen: Die Erwerbung von Medien scheint immer mehr auf den aktuellen
Bedarf ausgerichtet zu sein, obwohl Wissenschaft immer auch darauf angewiesen
ist, Literatur mit einer langfristigen Sammlungsperspektive zu nutzen –
ansonsten kann sie nicht (oder nur mit hohem finanziellen Aufwand) auf
vorhandenem Wissen aufbauen. Dennoch scheint die Strategie einer vollständigen
Sammlung und Vorhaltung des gesamten potentiell für die Wissenschaft relevanten
Publikationsaufkommens zugunsten einer konkreten Nachfrageorientierung
aufgegeben zu sein. Sind Bestände jedoch nur noch verstreut verfügbar, müsste
eigentlich die Bedeutung der Literaturdokumentation zunehmen. Ein Mehrwert von
Bibliographien für die Leser/Rezipienten war bislang, den Aufwand für die
systematische Kenntnisnahme von Literatur möglichst gering zu halten. Daraus
ließe sich als These ableiten: Gerade in Zeiten projektorientierter
Wissenschaft und damit auch einer projektorientierten Bestandserwerbung ist es
umso wichtiger, einen bestandsunabhängigen, möglichst vollständigen Nachweis
wissenschaftlicher Literatur zu haben.
Dieser Widerspruch tritt zu einer Zeit auf, in der
technische Entwicklungen auch andere Fragestellungen für die bibliographische
Praxis aufwerfen. Mehrere Projekte versuch(t)en sich beispielsweise an
automatischen Formen der Sacherschließung. Sie versprechen, den Prozess der
Erschließung – der auch für die Bibliographien notwendig ist – effektiver sowie
personal- und kostengünstiger zu gestalten. Außer den geringeren Kosten
verbindet sich mit den automatischen Verfahren weitere Versprechen: Ein
Beispiel ist die Nutzung moderner Informationstechnologien, um Bibliographien
Teil des Semantic Web werden zu lassen. Im Kontext der Diskussionen um die
Bibliothek 2.0 wurde das Social Cataloging als eine zukunftsträchtige
Entwicklung beschrieben. Das kollaborative Erschließen galt als ein möglicher
Ersatz von zentralen, institutionalisierten Redaktionen. Obwohl die Bibliothek
2.0 kaum noch als Begriff benutzt wird, ist diese Frage weiterhin relevant: Bei
Fachbibliographien wird der kollaborative Ansatz bis heute mit offenem Ausgang
in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit und Qualität erprobt.
Akteure und ihre Arbeitspraxis / mögliche Fragestellungen
Was bei diesen Projekten oft nicht reflektiert zu werden
scheint, ist die konkrete Arbeitspraxis des Bibliographierens: Wer
bibliographiert eigentlich? Mit welcher Ausbildung und Zielsetzung? Was
passiert beim Bibliographieren? Interessant ist zum Beispiel die Frage nach
Status und Professionalität der Bibliographierenden: Auf der einen Seite haben
sie durch die Arbeit des Selektierens, Kategorisierens, Erfassens und
Beschreibens eine selten thematisierte Macht über die Wissensproduktion, auf
der anderen Seite scheint ihr Status innerhalb der Wissenschaft als Hilfsarbeit
beigeordnet. Dies erinnert an die gegenwärtig verhandelten Fragen, um den
Status den die Produktion und Veröffentlichung von Forschungsdaten hat. Es
könnte sich demnach lohnen, Parallelen zwischen Bibliographieren und Erhebung
von Forschungsdaten als Teile des Forschungsprozesses herauszuarbeiten. Obwohl
die Situation bei National- und Regionalbibliographien durch ihre
institutionelle Anbindung an Bibliotheken gesichert erscheint, lassen sich auch
bei ihnen ähnliche Fragen stellen: Was ist ihr Status? Von wem werden sie wofür
genutzt? Definieren sich Nationen über Nationalbibliographien? Definieren sich
Nationalbibliotheken über ihre Nationalbibliographien? Was schließen sie ein
und was schließen sie aus?
Ebenso ist denkbar, eine historische Perspektive über
aktuelle bibliographische Konzepte und Arbeitspraxen hinaus einzunehmen: Wer
hat wann und wieso mit welchen Ergebnissen bibliographiert? Eine erste
Aufzählung wären Akademien, Bibliotheken, Institute, Verlage, einzelne
Forschende. Doch was unterscheidet diese von unterschiedlichen Einrichtungen
erstellten Bibliographien und was verbindet sie? Was lässt sich daraus für die
Gegenwart und Zukunft des Bibliographierens lernen? Beim Bibliographieren wird
dem Anspruch nach umfassend und möglichst vollständig erschlossen. Gleichzeitig
heißt bibliographieren auch immer auswählen, aussparen und ordnen. Die
Wissenschaftsforschung, beispielsweise die Akteur-Netzwerk-Theorie im Anschluss
an Bruno Latour, (Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory.
Oxford: Oxford University Press. 2005) geht bekanntlich davon aus, dass die
Infrastruktur, an und mit der Wissen produziert wird, einen Einfluss darauf
hat, was überhaupt gefragt und geforscht werden kann. Werden Bibliographien als
Teil dieser Infrastruktur verstanden, dann haben sie auch einen Einfluss auf
die Wissenschaften, in denen sie genutzt werden. Spannend wäre zu untersuchen,
wie genau sich dies realisierte, was an Forschungsfragen durch Bibliographien
möglich und unmöglich wurde. Sind inter- und transdisziplinäre Inhalte
wohlmöglich weniger verfolgt worden? Und schließlich ist das Bibliographieren
auch ein Teil jedes Forschungsprozesses selbst, wie sich mittlerweile unter
anderem unschwer an der weiten Verbreitung von Literaturverwaltungssoftware
ablesen lässt. Wie verändert sich dieser Forschungsprozess und das, wenn man so
will, Gebrauchsbibliografieren, wenn nicht mehr auf bestehende Bibliographien
zurückgegriffen werden kann?
Für die
Ausgabe #29 der LIBREAS. Library Ideas suchen wir also Beiträge zum Thema
Bibliographien. Wie angezeigt, lässt sich dieses sowohl aus
arbeitspraktischen, theoretischen, zukunftsbezogenen oder historischen
Blickwinkeln betrachten. Genauso unterschiedlich kann auch die Beitragsform
sein: vom wissenschaftlichen Artikel, Arbeitsbericht, über Rezension und
Interview bis zum Essay ist alles willkommen. Über Einreichungen zu diesem
Schwerpunkt hinaus, sind wie immer auch Beiträge zu anderen Themen sehr gerne
gesehen. Alle Einreichungen sollten bis zum 31.03.2016 bei uns sein (via
redaktion@libreas.eu).
Eure / Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Bielefeld, Chur, München)
[Foto Credits: ninara @ flickr]
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Editorial #29: Bibliographien
Redaktion LIBREAS
Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Editorial #29: Bibliographien".
LIBREAS. Library Ideas, 29 (2016). https://libreas.eu/ausgabe29/00editorial/
Die Bibliographie und das Bibliographieren, so eine These im
Call for Papers für diese Ausgabe, sind originär bibliothekarische Themen –nach
dem Durcharbeiten der Einreichungen können wir feststellen: Sie trifft
gleichzeitig zu und trifft nicht zu. Zum einen ist der Begriff des
Bibliographierens nicht geschützt, schon gar nicht historisch, und damit ist er
interpretierbar. Zwei Texte dieser Ausgabe gehen auf eine Bibliographie ein,
die für die Geschichte der Homosexuellenbewegung wichtig war, obwohl diese
Bibliographie selber im Rahmen bibliothekarischer Diskussionen vielleicht nicht
als solche benannt würde. Zudem ist das Bibliographieren heute offenbar nicht
ohne die Möglichkeiten der Wikimedia zu denken. Erstaunlich ist vielleicht
auch, dass in den Texten technische Fragen einen großen Stellenwert einnehmen,
nicht inhaltliche. Eine weitere These des Call for Papers war, dass die
Bibliographie und auch die Arbeit des Bibliographierens untertheoretisiert ist.
Die Überraschung, dass uns vor allem Texte zu technischen Fragestellungen
erreichten, mag mit dieser geringen Theoretisierung zusammenhängen. Wir hätten
uns mehr theoretische Auseinandersetzungen gewünscht, die jetzt nur mit einem
sehr verspielten, anregenden Text zu Metabibliographien vertreten sind.
Dies soll nicht als Klage gelten: die LIBREAS. Library Ideas
versteht sich als ein Ort im bibliothekarischen und
bibliothekswissenschaftlichen Diskurs, und da dieser Diskurs so technisch
orientiert ist, spiegelt sich dies auch in der Ausgabe wieder. In einem frühen
Stadium der Entwicklung des Schwerpunkts dieser Ausgabe gab es auch die Idee,
vor allem nach der Zukunft der Bibliographie zu fragen. Wir sind davon abgerückt
(obwohl die Frage weiter Teil des Call for Papers blieb, weil sie wichtig ist),
da viel zu oft im bibliothekarischen Diskurs nach der Zukunft gefragt wird,
ohne die gegenwärtige Situation zu klären, obgleich Aussagen über die Zukunft
ohne einer Verankerung in der gegenwärtigen Situation schnell den Fokus und die
Bodenhaftung verlieren können. Allerdings ist jetzt, bei der Herausgabe der
aktuellen Ausgabe, auch zu erkennen, dass wir durch diese Entscheidung
vielleicht zu wenig gerade über diese Themen erfahren haben. Dabei ist es
etwas, was die Zunft der Bibliographierenden aktuell beschäftigt. Es bleibt für
andere Ausgaben und vielleicht auch andere Publikationsorte offen. Davon
abgesehen hoffen wir, die LIBREAS #29 ist für Sie/euch als Lesende so interessant
wie für uns als Redaktion – und hoffentlich auch eine Anregung, verstärkt nicht
nur Themen aus einer bibliothekswissenschaftlichen Perspektive, sondern auch
spezifisch bibliothekarische Themen zu behandeln.
Ihre/eure Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Chur, Dresden, Exeter, München)
https://libreas.eu/ausgabe29/00editorial/
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LIBREAS #29 |
Bibliographien
https://libreas.eu/ausgabe29/inhalt/
Redaktion LIBREAS — Editorial #29 | Bibliographien
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